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Ein Gentleman in Moskau von Amor Towles

 

Ein Gentleman in Moskau ist ein wunderbar aufbauendes Buch und ein tröstliches in Zeiten von Corona.

Moskau 1922. Der Bolschewismus herrscht in Russland. Graf Alexander Iljitsch Rostov gehört einer alten russischen Familie von reichen Aristokraten an. Für diesen Umstand wird er vom Notstandskomitee des Volkskommissariats zu lebenslangem Hausarrest im Hotel Metropol in Moskau verurteilt. Ein politisches Gedicht mit revolutionsfreundlichem Inhalt, das ihm zugeschrieben wird, bewahrt ihn vor der direkten Exekution.

Das Hotel Metropol war auch vor der Verurteilung die Adresse des Grafen. Während er jedoch vorher eine großzügige Suite mit eigenem Mobilar bewohnte, zieht er jetzt in eine kleine Dienstbotenkammer unter dem Dach. Er verfällt jedoch nicht in Trostlosigkeit, sondern richtet  sich den Umständen entsprechend wohnlich ein und zeigt, dass auch ohne Luxus und Wohlstand am einfachsten Ort ein zivilisiertes Leben möglich ist. Als einziges Buch aus seines Vaters großer Bibliothek, die er zurücklassen muss, nimmt er die Essays von Michel de Montaigne mit. Darin findet er guten Rat in manchen schwierigen Situationen.

Graf Rostov arrangiert sich schnell mit der neuen Lebenssituation. Seine Weltoffenheit, sein Charme und seine Liebenswürdigkeit verhelfen ihm zu vielen Freundschaften, sowohl zu Angestellten im Hotel als auch zu Gästen. Er darf nicht mehr hinaus in die Welt, aber die Welt kommt zu ihm ins Hotel in Form von interessanten und einflussreichen Gästen. Als Chefkellner bildet er zusammen mit seinen Freunden dem Koch Emile und dem Maître’Hôtel Andrei ein Triumvirat im Metropol. Sie halten fest zusammen und lösen gemeinsam prekäre Situationen. Vor allem aber sind es zwei Mädchen, die im Laufe der Zeit das Leben des Grafen bereichern: Nina Kutikowa, die mit wachem Verstand und voller Neugier den Mikrokosmos und die Welt erkundet und später deren Tochter Sofia, die der Graf wie eine eigene Tochter liebt und großzieht. Dafür braucht Rostov die Unterstützung und Hilfe seiner Freunde im Hotel und es entsteht mit der Zeit ein Zusammengehörigkeitsgefühl wie bei einer Familie.

Derweil bewirkt die Verbreitung der Regeln des Bolschewismus, dass die Kultur im Land und auch im Hotel Metropol allmählich vernichtet wird. Das Personal wird ausgetauscht und die neuen Angestellten haben zwar parteiliche Unterstützer, aber keine Ahnung von zivilisierten Regeln. Nach der Devise: Höhere Bildung ist elitär, doch jetzt sind alle Russen Genossen und damit gleich. Ein makabres Beispiel dafür ist die Entfernung aller Etiketten von den Weinflaschen des reich bestückten edlen Weinkellers des Hotels, damit es nur noch die Unterscheidung zwischen Weißwein und Rotwein gibt. Graf Rostov jedoch besitzt einen ungebrochenen Patriotismus und verteidigt gegenüber jedem Ausländer seine Nation:“Ich bin Russe durch und durch“. Aber er sieht auch die Schrecken der kommunistischen Diktatur. Während das Metropol ein geschützter Raum bleibt, wird es im Rest von Russland frostig. Politische Reformen, Fünfjahrespläne, Machtkämpfe, Zwangsenteignung und schreckliche Strafen wie Verbannung nach Sibirien beherrschen die Gegenwart.

 Graf Rostov baut sich in dem Schutzraum Metropol einen kleinen Kosmos auf mit den für ihn eigentlichen und wichtigen Dingen im Leben. Er ergreift die Aufgabe, einen Menschen zu erziehen und hat die Fähigkeit, von Kindern zu lernen: nämlich Unbefangenheit, Neugierde und Ehrlichkeit. So schafft er sich selbst die Grundlage für ein erfülltes und glückliches Leben trotz aller widrigen Umstände.

 Als Mischka, ein Freund aus der Jugendzeit, sich ein letztes Mal von seinem Freund Rostov verabschiedet, sagt er:“Wer hätte damals geglaubt, als du zu Hausarrest im Metropol verurteilt wurdest, dass du eines Tages der glücklichste Mensch Russlands sein würdest!“

 Amor Towles hat einen wunderbaren Überblick über ein Stück der russischen  Geschichte gegeben, ein prachtvolles Historiengemälde, das aus dem Fenster des Metropol wie durch einen Vorhang im Hintergrund abläuft. Im  Mittelpunkt steht das Leben des Grafen Alexander Iljiwitsch  Rostov, der selbstironisch aber auch kritisch sich, die Umwelt und seine Beziehung zu den Mitmenschen zu analysieren versteht. Das alles in einem eleganten Schreibstil, der Inhalt und Form zu einem Gesamtwerk harmonisch verschmelzen lässt. Es ist erstaunlich, dass ausgerechnet ein Amerikaner so einen überzeugenden Einblick in die russische Seele geben kann mit spürbarer Liebe und Achtung vor dem russischen Volk.

 Christa Bartel

Amor Towles: Ein Gentleman in Moskau

Ullstein Taschenbuch
5. Aufl. 2019 – 558 S.