Buchtipps

Lieblingsbücher und Buchempfehlungen von Mitgliedern des Fördervereins


Jahrhundert-Trilogie von Carmen Korn

Birgit Rose empfiehlt als spannende und unterhaltsame Ferienlektüre die Jahrhundert-Trilogie von Carmen Korn, die aus folgenden drei Bänden besteht:

Band 1: Töchter einer neuen Zeit - Band 2: Zeiten des Aufbruchs - Band 3: Zeitenwende.

Im Mittelpunkt der Jahrhundert Trilogie stehen vier Frauen, die sich nach dem Ersten Weltkrieg in Hamburg anfreunden: Henry, Käthe, Ida und Lina. Sie stammen aus unterschiedlichen Verhältnissen, doch teilen sie fortan ihren Lebensweg miteindander.

 

Birgit Rose schreibt: Mich fasziniert an dem Schreibstil der Hamburger Schriftstellerin die Mischung aus
hanseatischer Distanz und warmherziger Herausarbeitung der einzelnen Protagonisten, deren Schicksale  zahlreich durch mehrere Generationen die Zeit von 1920 bis heute abbilden. In telegrammhaftem Tagebuch-Stil geschrieben gelingt es Carmen Korn, Spannung aufzubauen und einen Bogen zu spannen. Man bekommt das Bedürfnis, Hamburg kennenzulernen, die Orte der Handlungen persönlich zu besichtigen, die natürlich durch den Krieg längst nicht mehr existieren, und dennoch ...


Trotz der Fülle der einzelnen Schicksale verliert man nicht den Faden und die Übersicht. Eine wunderbare Ferienlektüre, die ich gerne weiterempfehle, auch den Jahrgängen, die diese Zeiten persönlich erlebt haben, denn Carmen Korn gelingt es, das Grauen mit einer wohltuenden Nüchternheit zu beschreiben, so dass es aushaltbar bleibt.

Carmen Korn: Töchter einer neuen Zeit (Jahrhundert-Trilogie, Band 1) Rowohlt TB, 2017 - 560 S.
Carmen Korn: Zeiten des Aufbruchs (Jahrhundert-Trilogie, Band 2) Rowohlt TB, 2018 - 608 S.
Carmen Korn: Zeitenwende (Jahrhundert-Trilogie, Band 3) Rowohlt TB, 2019 - 560 S.


Ein Gentleman in Moskau von Amor Towles

 

Ein Gentleman in Moskau ist ein wunderbar aufbauendes Buch und ein tröstliches in Zeiten von Corona.

Moskau 1922. Der Bolschewismus herrscht in Russland. Graf Alexander Iljitsch Rostov gehört einer alten russischen Familie von reichen Aristokraten an. Für diesen Umstand wird er vom Notstandskomitee des Volkskommissariats zu lebenslangem Hausarrest im Hotel Metropol in Moskau verurteilt. Ein politisches Gedicht mit revolutionsfreundlichem Inhalt, das ihm zugeschrieben wird, bewahrt ihn vor der direkten Exekution.

Das Hotel Metropol war auch vor der Verurteilung die Adresse des Grafen. Während er jedoch vorher eine großzügige Suite mit eigenem Mobilar bewohnte, zieht er jetzt in eine kleine Dienstbotenkammer unter dem Dach. Er verfällt jedoch nicht in Trostlosigkeit, sondern richtet  sich den Umständen entsprechend wohnlich ein und zeigt, dass auch ohne Luxus und Wohlstand am einfachsten Ort ein zivilisiertes Leben möglich ist. Als einziges Buch aus seines Vaters großer Bibliothek, die er zurücklassen muss, nimmt er die Essays von Michel de Montaigne mit. Darin findet er guten Rat in manchen schwierigen Situationen.

Graf Rostov arrangiert sich schnell mit der neuen Lebenssituation. Seine Weltoffenheit, sein Charme und seine Liebenswürdigkeit verhelfen ihm zu vielen Freundschaften, sowohl zu Angestellten im Hotel als auch zu Gästen. Er darf nicht mehr hinaus in die Welt, aber die Welt kommt zu ihm ins Hotel in Form von interessanten und einflussreichen Gästen. Als Chefkellner bildet er zusammen mit seinen Freunden dem Koch Emile und dem Maître’Hôtel Andrei ein Triumvirat im Metropol. Sie halten fest zusammen und lösen gemeinsam prekäre Situationen. Vor allem aber sind es zwei Mädchen, die im Laufe der Zeit das Leben des Grafen bereichern: Nina Kutikowa, die mit wachem Verstand und voller Neugier den Mikrokosmos und die Welt erkundet und später deren Tochter Sofia, die der Graf wie eine eigene Tochter liebt und großzieht. Dafür braucht Rostov die Unterstützung und Hilfe seiner Freunde im Hotel und es entsteht mit der Zeit ein Zusammengehörigkeitsgefühl wie bei einer Familie.

Derweil bewirkt die Verbreitung der Regeln des Bolschewismus, dass die Kultur im Land und auch im Hotel Metropol allmählich vernichtet wird. Das Personal wird ausgetauscht und die neuen Angestellten haben zwar parteiliche Unterstützer, aber keine Ahnung von zivilisierten Regeln. Nach der Devise: Höhere Bildung ist elitär, doch jetzt sind alle Russen Genossen und damit gleich. Ein makabres Beispiel dafür ist die Entfernung aller Etiketten von den Weinflaschen des reich bestückten edlen Weinkellers des Hotels, damit es nur noch die Unterscheidung zwischen Weißwein und Rotwein gibt. Graf Rostov jedoch besitzt einen ungebrochenen Patriotismus und verteidigt gegenüber jedem Ausländer seine Nation:“Ich bin Russe durch und durch“. Aber er sieht auch die Schrecken der kommunistischen Diktatur. Während das Metropol ein geschützter Raum bleibt, wird es im Rest von Russland frostig. Politische Reformen, Fünfjahrespläne, Machtkämpfe, Zwangsenteignung und schreckliche Strafen wie Verbannung nach Sibirien beherrschen die Gegenwart.

 Graf Rostov baut sich in dem Schutzraum Metropol einen kleinen Kosmos auf mit den für ihn eigentlichen und wichtigen Dingen im Leben. Er ergreift die Aufgabe, einen Menschen zu erziehen und hat die Fähigkeit, von Kindern zu lernen: nämlich Unbefangenheit, Neugierde und Ehrlichkeit. So schafft er sich selbst die Grundlage für ein erfülltes und glückliches Leben trotz aller widrigen Umstände.

 Als Mischka, ein Freund aus der Jugendzeit, sich ein letztes Mal von seinem Freund Rostov verabschiedet, sagt er:“Wer hätte damals geglaubt, als du zu Hausarrest im Metropol verurteilt wurdest, dass du eines Tages der glücklichste Mensch Russlands sein würdest!“

 Amor Towles hat einen wunderbaren Überblick über ein Stück der russischen  Geschichte gegeben, ein prachtvolles Historiengemälde, das aus dem Fenster des Metropol wie durch einen Vorhang im Hintergrund abläuft. Im  Mittelpunkt steht das Leben des Grafen Alexander Iljiwitsch  Rostov, der selbstironisch aber auch kritisch sich, die Umwelt und seine Beziehung zu den Mitmenschen zu analysieren versteht. Das alles in einem eleganten Schreibstil, der Inhalt und Form zu einem Gesamtwerk harmonisch verschmelzen lässt. Es ist erstaunlich, dass ausgerechnet ein Amerikaner so einen überzeugenden Einblick in die russische Seele geben kann mit spürbarer Liebe und Achtung vor dem russischen Volk.

 Christa Bartel

Amor Towles: Ein Gentleman in Moskau
Ullstein Taschenbuch
5. Aufl. 2019 – 558 S.


Der verlorene Sohn von Olga Grjasnowa

 

Es ist das Jahr 1839 und seit Jahrzehnten tobt der Kaukasische Krieg. Der mächtige Imam Schamil, Führer der Bergvölker Dagestans und Tschescheniens, gerät nach Jahren des Kampfes gegen das russische Heer in eine ausweglose Situation und muss seinen geliebten ältesten Sohn Jamalludin den Russen als Geisel geben. Nach wenigen Tagen sollte der Neunjährige wieder nach Hause zurückkehren dürfen, doch daraus wurden mehr als 15 Jahre.

 

 Jamalludin leidet in der ersten Zeit in Russland sehr unter der Trennung von der vertrauten Heimat. Insbesondere die geliebte Mutter fehlt ihm. Doch allmählich lebt er sich in das fremde Russland ein, die russische Sprache wird ihm immer vertrauter. Der russische Zar Nicolai hat große Pläne mit Jamalludin. Sein Kalkül ist, dass der Sohn des mächtigen Schamil nach Rückkehr als Erwachsener in seine Heimat die russische Politik unterstützen wird. Deshalb scheut der Zar keine Kosten für die beste Ausbildung des Sohnes seines Feindes. Jamalludin erhält sowohl eine ausgezeichnete Schulbildung, lernt mehrere Fremdsprachen, wird in die russische Gesellschaft eingeführt und wächst im Einflussbereich der Zarenfamilie auf. Doch der Plan des Zaren geht nicht auf. Als nach 15 Jahren Jamalludin im Alter von 24 Jahren gegen zwei georgische Prinzessinnen und weiteren Familienmitgliedern des georgischen Fürsten ausgetauscht wird, stirbt kurz darauf Zar Nicolai und sein Nachfolger Alexander II.  hat andere Pläne.

 

Für Jamalludin bedeuted der erneute rigorose Einbruch in seinem Leben eine weitere Zerreißprobe. Er hat sich an das feudale russische Gesellschaftsleben der hochstehenden Persönlichkeiten gewöhnt und hat sich eine angesehene Stellung erworben. Das ist mit dem Tod des Zaren zunichte geworden. In das einfache Leben der kaukasischen Heimat kann Jamalludin sich nicht mehr eingewöhnen. Der Kulturunterschied zur russischen Gesellschaft ist zu krass. Seine Familie und seine Landsleute sehen in ihm immer stärker einen Vertreter des russischen Feindes und einen Verräter der islamischen Religion und Kultur. Sein einstiger kämpferischer Lebenswille zerbricht an den feindlichen Umständen seiner ursprünglichen Heimat. Er stirbt gebrochen an Tuberkulose.

 

 Der Roman von Olga Grjasnowa ist inspiriert von einer historischen Begebenheit. Die Geschichte ist aber sehr frei ausgeschmückt und wird so eher zu einem Märchen mit historischem Hintergrund. Das liest sich jedoch sehr interessant und flüssig, zumal die Thematik brandaktuell anmutet. Der im Mittelpunkt stehende Sohn des Imam, Jamalludin, wird sowohl als Kind als auch als junger Erwachsener brutal aus seinem vertrauten Umfeld gerissen und muss sich ad hoc in eine für ihn fremd gewordene Gesellschaft integrieren. Ein junger Mensch auf der Suche nach seiner Identität und Heimat, der auf Grund seiner frühen Entwurzelung und der Uneindeutigkeit der Welt zerbricht.

 

Christa Bartel

 

Grjasnowa, Olga: Der verlorene Sohn

Berlin, Aufbau, 2. Aufl. 2020 - 282 S.